Fallschirmspringen in Frankreich 1998

Eine Zeit lang habe ich mit Freunden regelmäßig Skat gespielt. Wir unterhielten auch eine Skatkasse, die nach gut einem Jahr ziemlich prall gefüllt war. Mit dem Geld wollten wir irgendwas besonderes machen, und so kamen wir dann auf die Idee, es mal mit Fallschirmspringen zu versuchen. Allerdings reizte uns die Vorstellung gleich den ersten Sprung alleine zu machen und nicht wie gewöhnlich als Tandemsprung. Dies wurde in einer Schule in Maubeuge (Frankreich, nahe der belgischen Grenze) angeboten. Vereinfachend kam noch hinzu, dass meine Ex-Freundin (die sich für einen Tandemsprung entschied) Kontakt zu einem der Lehrer hatte, übrigens der Einzige, der der deutschen Sprache mächtig war.

Nach der erforderlichen ärztlichen Tauglichkeitsuntersuchung ging es im Mai 1998 auf nach Frankreich. An einem Nachmittag wurden uns die ganzen theoretischen Kenntnisse beigebracht. Unter anderem wurde uns auch erklärt, dass man nicht in Panik ausbrechen muss, wenn sich der Schirm mal nicht oder nicht richtig öffnet, denn es gibt immer noch einen Ersatzschirm. Auch wurden wir darüber aufgeklärt, dass das Gefährlichste eigentlich die Landung sei. Da kann es schon mal bei Ungeübten zu Prellungen, Stauchungen oder sogar zu Knochbrüchen kommen. Außerdem soll die Orientierung aus der Luft ein echtes Problem sein, was sich bei uns auch in einem tragisch-komischen Fall bewahrheitete.

Nach der Theorie erfolgte die praktische Ausbildung ("Trockenübungen"). Wir konnten uns einmal in einen Fallschirmgurt reinhängen, um das Steuern zu üben. Auf Rollbrettern wurden die Bewegungen in der Luft nach dem Absprung simuliert. Uns wurde gezeigt, wie man stabil "auf" der Luft liegen kann, wie man sich zu bewegen hat, um Höhenmesser abzulesen oder dann die Leine zum Öffnen des Schirmes zu ziehen und wie man auf Handzeichen der Lehrer zu reagieren hat. Denn so ganz alleine ist man dann doch nicht gesprungen. Es sind immer 2 Lehrer mit einem zusammen unterwegs gewesen und haben aufgepasst, dass man im freien Fall eine stabile Lage hat und dass man auch die Leine in einer bestimmten Höhe zieht, damit sich der Schirm noch möglichst vor dem Aufprall öffnet.

Und dann ging es auch schon los. Für mich war es auch überhaupt das erste Mal zu fliegen. Alleine der Start war schon ein Erlebnis. Dann ging es hoch bis auf 4.000 m. Die Maschine war so gut gefüllt, dass schon nach dem Öffnen der Tür die Ersten von ganz von alleine herausfielen (was für ein Glück, dass alle einen Fallschirm dabei hatten :-). Naja, und dann stand ich in der Tür und schaute hinaus. Ein tief dunkles blau umgab uns und die Sonne blendete. Dann sah ich nach unten. Wir befanden uns über den Wolken und man starrte einfach nur ins Nichts, in einen weiss-grauen Schleier, der Boden war nicht zu erkennen. Uns wurde vor Abflug gesagt, wenn wir nicht alleine aus eigener Initiative springen würden, man würde uns nicht aus der Tür schmeißen und wenn man sich gar nicht überwinden könnte, dann würde es halt wieder mit dem Flugzeug abwärts gehen. So sahen mich dann meine beiden Lehrer, die jeweils rechts und links von mir standen, an und warteten, dass ich nun endlich springen würde. Ich glaube, dass es einfacher ist, sich ins "Nichts" fallen zu lassen, als sich zu überwinden vom 10 m Turm im Freibad zu springen, denn hier hat man die Höhe direkt vor Augen.

Nach dem Ausstieg ging dann alles relativ schnell. Man befindet sich ca. 1 min im freien Fall, bevor man den Schirm öffnet. Meine beiden Lehrer waren neben mir und stabilisierten mich in der Luft und gaben mir irgendwelche Zeichen, die ich aber in der Aufregung sowieso nicht deuten konnte. Das Atmen fiel schwer und meine Wangen schlapperten im Wind. Wir waren nun schon durch die Wolken durch und man konnte die Landschaft erkennen, die aber einfach nicht näher zu kommen schien. Dann war es auch schon an der Zeit, den Schirm zu öffnen. Ich zog also an der Leine und es passierte erst mal nichts, was für ein Schock! Dieser Augenblick hat vieleicht ein bis zwei Sekunden gedauert, aber mir kam das verdammt lange vor. Dann aber gab es einen heftigen Ruck, und ich hing im Gurt. Ein Blick nach oben: Der Schirm war richtig geöffnet, er hatte sich nur etwas Zeit gelassen. Alles war in Ordnung, nur ich war schweissnass.

Nun konnte man aber den Flug richtig genießen. Ich erkannte die Landefläche, und nach ca. 20 min Flugdauer kam ich dann dem Boden verdächtig nahe. Über Funk bekam ich Anweisungen, wie ich den Schirm zu lenken hatte. Auch für die Landung sollte es Anweisungen geben. Aber ich befand, dass ich dem Boden nun nahe genug war und dass es an der Zeit war zu bremsen, um nicht mit voller Geschwindigkeit auf dem Boden aufzuschlagen. Denn auch trotz Schirm hat man noch eine beachtliche Geschwindigkeit (so um die 30 km/h) drauf. Ich zog also an den Bremsleinen und es wurde auch merklich langsamer, es schien mir sogar, als ob ich eine Zeit lang schweben würde, doch dann passierte das, wovor man uns auch ausdrücklich gewarnt hatte, wenn man zu früh bremst: Der Schirm klappte zusammen und ich landete ziemlich schnell und unsanft auf meinem Allerwertesten. Ich hatte überhaupt kein Gefühl für die Höhe und einfach Panik bekommen. Hätte ich auf die Anweisungen gewartet, dann wäre dies sicher nicht passiert. Mein Rücken war jedenfalls ziemlich gezerrt, aber sonst war noch alles heil.

Da immer zwei Lehrer mit einem zusammen absprangen, konnte jeweils nur Einer von uns Schülern mit nach oben und springen. Die Anderen hatten dann die Möglichkeit, von unten das Landemanöver zu verfolgen. Und im nachhinein muss ich sagen, dass ich mit meiner Landung noch viel Glück gehabt hatte. Mein Freund, der nach mir sprang und hier sicherlich auch namentlich nicht erwähnt werden möchte, hatte weit mehr Probleme. Er musste wohl in der Luft die Orientierung verloren haben und konnte auch mit den Anweisungen über Funk nicht viel anfangen. Jedenfalls entfernte er sich zunehmend vom Landplatz und steuerte mit seinem Schirm zielgenau auf einen Bauernhof zu. Am Boden war alles in voller Panik, der Lehrer schrie in sein Mikrofon, aber das half recht wenig. Mitlerweile war mein Freund schon recht tief, und es sah ganz so aus, als ob er direkt auf dem Dach des Gehöfts landen wollte. Wir rannten hinterher und sahen nur noch eine Kuhherde mit lautem Muhen davonrennen. Nur eine Kuh hing etwas hinterher, sie musste wohl überraschend von etwas Schwerem getroffen worden sein, als sie gerade friedlich wiederkäuend auf der Weide lag.

Mein Freund zog sich bei dieser unsanften Landung einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu und verfehlte nur knapp den Stacheldrahtzaun. Ob die Kuh weitere Schäden davongetragen hat, weiss man nicht so genau, jedenfalls war der Schirm schön voll mit Kuhexkrementen.

Ich glaube, wir haben es geschafft, hier einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, und man war bestimmt nicht böse, dass wir am nächsten Tag abreisten und nicht noch weitere Sprünge absolvierten.

Sorry, es ist ein bischen mehr Text geworden, aber nun endlich die Bilder.